Recherchierte Geschichte jüdischer Soldaten
Wir erhalten einige Anfragen zur Recherche über jüdische Soldaten.Da wir nicht über ein Archiv verfügen, können wir nur selten helfen. Dennoch ist das Andenken an jüdische Soldaten des ersten Weltkrieges eines unserer Vereinszwecke. Unter dieser Rubrik veröffentlichen wir gerne Texte, die uns zur Verfügung gestellt werden.
Von den Nazis vertrieben und gegen die Nazis gekämpft
-die jüdischen Helden aus Köln im II. Weltkrieg
Widmung
Dieser Artikel ist meinem Schwiegervater Stanley Lukes sel. A. (ל“ זצ ישראל בן צדיק) aus Newcastle upon Tyne/England gewidmet. Stanley Lukes war Captain bei den Royal Northumberland Fusiliers der englischen Armee und hat die Schlacht von Dünkirchen 1940 und den II. Weltkrieg miterlebt.
Im Mai 2023 jährt sich der 78. Jahrestag der vollständigen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa. Dieser Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf das benachbarte Polen und endete erst mit der Kapitulation Japans am 2. September 1945. Damit war der grausame Zweite Weltkrieg, bei dem es mehr als 60 Millionen Opfer zu beklagen gab, beendet. Diese Millionen Opfer waren ermordet in Konzentrationslagern, gefallen im Krieg, verbrannt bei Bombenangriffen, gestorben an Hunger, erfroren an Kälte und niedergemetzelt mit Gewalt.
Interessanterweise gibt es für Europa sogar zwei offizielle Kapitulationserklärungen. Am 8. Mai 1945 trat die von Generaloberst Alfred Jodl unterschriebene bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Kraft. Diese Unterzeichnung fand in der französischen Stadt Reims im Hauptquartier des amerikanischen Generals Dwight David Eisenhower, Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, statt. Der sowjetische Diktator Josef Stalin drängte auf eine Wiederholung der Zeremonie für den sowjetischen Machtbereich. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, unterschrieb die Kapitulationsurkunde im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst am 9. Mai 1945. Von daher gibt es je nach Länderzugehörigkeit eine Gedenkfeier am 8. Mai oder am 9. Mai. Zum Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte wurde die Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker im Jahre 1985 vor dem deutschen Bundestag: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
Kommen wir nun von der Kapitulation Deutschlands vom 8. Mai 1945 zur Befreiung der Stadt Köln. Sie fand bereits zwei Monate früher am Dienstag, 6. März 1945, statt. Am Morgen des 5. März eröffnete die 3. Spearhead-Division der 1. US-Armee den entscheidenden Angriff auf Köln; und zwar vom Vorort Bocklemünd herkommend über die Venloer Straße vorbei an unserem jüdischen Friedhof in Köln Bocklemünd. (Bild 1). Die amerikanischen Verbände drangen bis zum Stadtzentrum vor und am frühen Nachmittag des 6. März erreichten sie den Dom und das Rheinufer in der Altstadt. Damit war das linksrheinische Köln befreit. Die rechtsrheinischen Kölner Vororte konnten erst zwischen dem 12. und 15. April von amerikanischen Truppen befreit werden, da die einzige nächstmögliche Rheinüberquerung nur über die Brücke von Remagen möglich war.
Nach dieser kurzen historischen Betrachtung zum Ende des Zweiten Weltkrieges möchte ich nun zum diesjährigen Jahrestag der Befreiung über die jüdischen Helden aus Köln sprechen, denen leider bis heute zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es handelt sich um Kölner jüdischen Glaubens, die aus Nazi-Deutschland emigrieren mussten und in fremder Uniform gegen die Nazis gekämpft haben. Diese jüdischen Helden riskierten alles: Familie, Freiheit und Leben. Einige Kämpfer starben und einige Kämpfer überlebten. Die, die überlebten, wären bestimmt gerne beim Einmarsch der amerikanischen Streitkräfte in Köln am 6. März 1945 dabei gewesen. Aber sie waren an anderen Kriegsschauplätzen, befanden sich in einem Armee-Lazarett oder hatten sich irgendwo auf der Welt versteckt. Auf jeden Fall gebührt es, dass diesen Helden von der Synagogen-Gemeinde Köln ein würdiges Denkmal gesetzt wird. Wir sollten nicht vergessen, es waren in erster Linie Kölner Bürger, die in Köln geboren und aus der Heimatstadt vertrieben wurden. So habe ich mich ganz bewusst auf vier Beispiele konzentriert. Nach langer Recherche war es möglich, ihren Lebensweg zu rekonstruieren; für diesen Artikel natürlich nur in Kurzform. Zum Schluss werde ich die mir namentlich bekannten weiteren Helden erwähnen. Wir sollten aber wissen, dass die eigentliche Zahl der Kölner Helden viel größer ist. Nur ist ihr Lebensweg noch unerforscht oder nicht bekannt.
Martin Müller/Mueller
Gestorben mit 23 Jahren
Martin Müller (später amerikanisiert: Mueller) wurde am 24. September 1920 in Köln geboren. In seiner Geburtsurkunde steht allerdings: Fritz-Günter Martin Löwenberg. Was es damit auf sich hat, muss etwas ausführlicher erklärt werden.
Seine Mutter Frieda, geb. Varnhagen, wurde am 15. Mai 1889 in Niedermarsberg (heute: Marsberg) im Sauerland geboren. Frieda heiratete Moritz Müller am 15. August 1913 (Standesamtseintrag Nr. 12/1913). Sie hatten eine Tochter Liesel Paula, geb. am 26. September 1914 in Niedermarsberg (Geburtsurkunde liegt vor). Moritz Müller ist am 5. Juni 1918 als Stabsobergefreiter des Fussartillerie-Bataillons 79 in Chalons-sur-Vesles (gem. vorliegender Sterbeurkunde der Stadt Düsseldorf) im 1. Weltkrieg gefallen. Frieda Müller heiratete dann am 2. November 1919 in Köln Julius Löwenberg. Deren gemeinsamer Sohn war Fritz-Günter Martin. Warum er später den Namen Martin Mueller bevorzugte, kann nur erraten werden; vielleicht weil es sich leichter im Amerikanischen ausspricht. Dieser Name steht jedenfalls in allen US-Dokumenten.
Über Martins Jugendzeit und seine Eltern gibt es keine weiteren Informationen. Für die Tochter Liesel Paula wurde aber schon frühzeitig eine weitreichende Entscheidung getroffen. So ist belegt, dass die damals 19jährige Liesel Paula auf der Passagierliste der S.S. „Albert Ballin“ stand. Der Dampfer verließ am 28. September 1933 Hamburg und erreichte New York/USA am 6. Oktober 1933. Von da aus ging ihre Reise weiter nach Kalifornien zu ihrem Onkel mütterlicherseits Siegfried Varnhagen. Eine interessante Kleinigkeit darf ich noch hinzufügen. Auf der Passagierliste ist sogar vermerkt, dass Liesel Paula über Bargeld in Höhe von US-Dollar 300,- verfügte; viele andere Passagiere aber nur über US-Dollar 25,-.
Eine weitere wichtige Information erfahren wir aus der Passagierliste des Dampfers S.S. „Excalibur“, der am 21. Juni 1941 von Lissabon/Portugal nach New York fuhr und dort am 30. Juni ankam. Als Passagiere sind dort aufgeführt: Das Ehepaar Israel Julius LOWENBERG und Frieda LOWENBERG (beide mit den richtigen Geburtsorten und mit dem letzten Wohnsitz „Cologne“); auch sie mit Weiterfahrt nach Kalifornien.
Aber wie gelangte unser Held Martin Mueller nach Amerika? Nach langer Suche fand ich durch einen großen Zufall einen Loewenberg Fritz (handschriftlich hinzugefügt: Guenter Martin), der mit der MS. „Oakland“ am 5. August 1937 von Hamburg nach San Francisco fuhr mit Ankunft 17. September 1937. Hier passt alles: Alter 16 Jahre, Herkunftsort Cologne/Köln und die gleiche Zieladresse wie bei seiner Schwester – nämlich zum Onkel Siegfried Varnhagen. Und als Heimatadresse wurde angegeben: „Blankenheimerstr. 57, Koeln-Sulz, Germany“. Kurze historische Info – nebenan in der Blankenheimer Str. 55 befand sich vor dem II. Weltkrieg das Israelitische Jugendheim mit Kindertagesheim und nach dem Krieg das jüdische Altenheim der Synagogen-Gemeinde Köln.
Ganz bewusst habe ich diese Familien- und Auswanderersituation so ausführlich dargestellt. Zur eigenen Rettung und zum Überleben verlässt eine vierköpfige Emigrantenfamilie Nazi-Deutschland auf drei verschiedenen Schiffen und in drei verschiedenen Jahren: 1933 / 1937 / 1941. An dieser Stelle möchte ich nun auf das einzig verfügbare Foto eines Familienangehörigen hinweisen. Es zeigt die Mutter Frieda Mueller, verh. Loewenberg, und stammt aus der Akte zum amerikanischen Einbürgerungsantrag in Kalifornien vom 10. Januar 1942 (Bild 2).
Kehren wir nun zum eigentlichen Thema wieder zurück und betrachten das erste verfügbare Dokument von Martin Mueller. Es zeigt seine militärische Registrierungskarte vom 14. Februar 1942 (Bild 3). Martin und seine Schwester Liesel (jetzt: Leisel) Paula wohnten in 839 New Hampshire Ave, Los Angeles. Auch die Eltern waren ebenfalls unter dieser Adresse gemeldet. Schon ein Jahr später wurde Martin am 2. Februar 1943 als sogenannter „Refugee Soldier“ zur amerikanischen Armee mit der Dienstnummer 39280822 eingezogen. Nach einer kurzen Ausbildungszeit von nur drei Monaten wurde er nach Übersee verschifft und nahm am Pazifikkrieg mit dem Dienstgrad „Private first class“ (Pfc) – Infanterie – teil. Sein letzter Einsatz war die Eroberung der Insel Saipan, die zur Marianen-Inselgruppe zählt. Ziel des amerikanischen Angriffs war die Eroberung zweier wichtiger Flugfelder auf der Insel Saipan, um von dort Luftangriffe auf das japanische Festland führen zu können. Bei diesen Kämpfen starb der Kölner Martin in amerikanischer Uniform am 12. Juli 1944 im Alter von 23 Jahren in Ausübung seiner Pflicht („in line of duty“) für das neue Vaterland. Seine sterblichen Überreste wurden später vom „Saipan 27. Division Friedhof“ nach Amerika überführt und am 15. Juni 1948 auf dem „Golden Gate National Cemetry“ in Kalifornien, San Bruno, San Mateo County, Grabstelle C 361 beigesetzt (Bild 4).
Anmerkung: Bei Betrachtung der vielen Passagierlisten für die verschiedenen Schiffe ist auffallend, wie weit die Rassenideologie von den einzelnen Schifffahrtsgesellschaften angewendet wurde. So wurde jede Passagierliste in viele Spalten unterteilt; und die Nummern der Spalten waren fast immer gleich:
• Spalte 3: steht für Familienname und Vorname („Family name/Given name“)
• Spalte 9: steht für Nationalität („Nationality / Country of which citizen or subject“) mit Beispielen wie: Netherlands, German, French, Norway, China, Poland.
• Spalte 10: steht für „Race or people“ mit Beispielen wie: Dutch, American, French, Chinese, German oder Hebrew. Und in der damaligen Zeit gab es sehr viele Personen mit der Stigmatisierung „Hebrew“ auf den Passagierlisten der Schiffe.
Egon Brünell/Bruenell
Gestorben mit 19 Jahren
Am 13. April 1925 wurde Egon Brünell (später amerikanisiert Bruenell) in Köln Lindenthal Virchowstraße 13 gem. vorliegender Geburtsurkunde (Anmerkung: 1) als Sohn von Karl Brünell (1891-1944) und Rosa Rosalie Rothschild (1894-1972) geboren. Köln war nur Egons Geburtsort, denn eigentlich wohnte die Familie Brünell in der Stadt Kerpen, die sowohl damals wie auch heute zum Einzugsgebiet der Synagogen-Gemeinde Köln zählt. Egons Vater, Karl Brünell, war von Beruf Viehhändler, genauso wie schon sein Vater Emanuel und sein älterer Bruder Siegmund. „Karl Brünell hatte im 1. Weltkrieg als Soldat gedient, war Ehrenmitglied der St. Sebastianus-Bruderschaft, Repräsentant der Kerpener Synagogengemeinde und leidenschaftlicher Skatspieler“ (Anm.: 2). 1923 heiratete er Rosa Rothschild (Rachel bat Baruch). Nach dem Sohn Egon kam 1930 Sohn Berthold auf die Welt. Ein Höhepunkt im Leben der Familie Brünell war mit Sicherheit die Bar-Mitzwa von Egon, die am Samstag, 23. April 1938 / 22. Nissan 5698, stattfand. Aus dem Familienalbum, das bei der Emigration mitgenommen wurde und als Zeitdokument betrachtet werden muss, habe ich zwei Bilder ausgewählt. Das eine zeigt die Bar Mitzwa-Anzeige (Bild 5a) und das zweite einen selbstbewussten jungen Mann in seinem zweireihigen Bar-Mitzwa Anzug, sogar mit Einstecktuch (Bild 5b). Seine Bar-Mitzwa war vermutlich die letzte in der Kerpener Synagoge, die seit 1836 bestand. Auch sie wurde in der Reichspogromnacht/Reichskristallnacht verwüstet und geschändet. Für die Familie war klar, sie musste Nazi-Deutschland verlassen. Sie alle besaßen eine Ausreisegenehmigung nach Amerika. Aber aufgrund einer Eintragung auf der Meldekarte der Stadt Kerpen wurde die Ausreisegenehmigung für Vater Karl Brünell zurückgezogen. Er musste in Deutschland bleiben, wurde 1942 über Bonn nach Theresienstadt deportiert und dort im Jahre 1944 ermordet.
Carl Rotschild aus New York, der Bruder von Rosa Brünell, hatte zwischenzeitlich die nötigen Papiere und Bürgschaften besorgt. So emigrierte Mutter Rosa, 45 Jahre, mit den Söhnen Egon, 14 Jahre, und Berthold, 8 Jahre, auf der S.S. „Pennland“ von Antwerpen/Belgien am 22. Juli 1939. Sie erreichten New York am 1. August 1939. Übrigens, ihr Bargeld wird mit nur US-Dollar 20,- angegeben und natürlich war die gesamte Familie als „Hebrew“ gekennzeichnet. Die Kerpener wohnten bei Rosas Bruder in New York in der 35th Ave, Jacksons Heights. Danach gibt es keine weiteren Informationen; wahrscheinlich ging Egon Bruenell auf das College. Aber knapp vier Jahre später, am 13. April 1943, erfolgt die Militär-Registrierung für Egon (Bild 6); er wird kurz darauf am 14. Mai 1943 zur Armee eingezogen. Seine Dienst-Nr. war 32907543. Er bekleidete den Rang Private (Pvt) und wurde der Einheit 38th General Hospital zugeteilt, wo er für den Hospitaldienst ausgebildet wurde. Bereits vier Monate später, am 7. Oktober 1943, verließ sein Schiff mit seiner Einheit den Hafen von New York. Zunächst war er wohl in Nordafrika stationiert und kam dann im Juni oder Juli 1944 in die Nähe von Kairo/Ägypten (Bild 7). Im letzten Brief an seine Familie („Dear Folks“) vom 9. August 1944 schrieb er, dass er zu seinem nächsten Urlaub gerne einmal Palästina besuchen möchte. Dazu kam es dann aber nicht mehr. Ganz überraschend starb er am 18. August 1944 an der schlimmen Infektionskrankheit Malaria tropica und wurde auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof „North Africa American Cemetery and Memorial“ von Karthago, 553 Rue de Roosevelt, bei Tunis/Tunesien beigesetzt (Bild 8).
Rudolf Julius Falck
Gestorben mit 24 Jahren
Obwohl in allen offiziellen deutschen Dokumenten die Reihenfolge der Vornamen mit „Julius Rudolf“ angegeben ist, wird im weiteren Verlauf des Artikels die Reihenfolge mit „Rudolf Julius“ genutzt. Warum es hier so gehandhabt wird, ist ziemlich einfach. In der Familie und im Bekanntenkreis wurde er immer umgekehrt, nämlich Rudolf Julius gerufen, oder einfach nur „Rudi“.
Rudolf „Rudi“ Julius Falck wurde am 29. April 1920 als Sohn von Elisabeth geb. Vogel (1887 – 1951) und Georg Falck (1878 – 1947) in Köln geboren. Der Vater Georg Falck zählt zu den wichtigsten Architekten des Warenhauses im Deutschen Reich. Hier eine kleine Auswahl seiner Arbeiten: das Israelitische Waisenhaus „Abraham Frank“ in der Aachener Straße, das Agrippa-Haus in der Breite Straße, das Büro- und Geschäftshaus in der Brückenstraße 17 (früher: Modehaus Salomon), das Israelitische Jugendheim mit Kindertagesheim in Köln Sülz sowie verschiedene Kaufhäuser in ganz Deutschland für die Leonhard Tietz AG (Anm.: 3).
Familie Falck wohnte im Vorort Köln Marienburg, Marienburger Straße 8. Rudolf und seine zwei Jahre jüngeren Zwillingsschwestern Ellen und Ruth, geb. 1922, verbrachten mit Sicherheit eine schöne und wohlbehütete Kindheit (Bild 9). Aber der Vater erkannte schon ganz früh die politischen Zeichen der Zeit. Daher emigrierte die gesamte Familie Ende 1933/Anfang 1934 in das holländische Amsterdam. Dort ging Rudolf auf das Barlaeus Gymnasium. Nach seinem Abschluss schickten ihn die Eltern 1937 nach England, um dort perfektes Englisch zu lernen zur Vorbereitung auf ein Studium. Er studierte dann Jura am berühmten Balliol College der Oxford University. Sein Studien Abschluss wurde sogar in der englischen Zeitung „The Jewish Chronicle“ vom 19. Juli 1940 erwähnt. Zwei weitere Ereignisse aus dem Jahre 1940 dürfen aber nicht ausgelassen werden. In England wurde Rudolf, wenn auch nur kurz, wie viele andere Deutsche gleich welcher Religion oder Gesinnung als „Enemy Alien“ (= feindliche Ausländer) auf der Insel Isle of Man vom 21. Juni – 8. Oktober 1940 interniert. Das zweite Ereignis war die schriftliche Veröffentlichung der Annullierung der deutschen Staatsbürgerschaft in der Zeitung „Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger“ (Bild 10) vom 13. Dezember 1940 für alle fünf Mitglieder der Falck Familie. Mit exakter Genauigkeit der Nazi-Bürokratie wurde der Prozess der Emigration, der schon sechs Jahre zurücklag, verarbeitet. Wie für viele emigrierte Deutsche gab es auch eine Karteikarte mit den genauen Einzelheiten zur Ausbürgerung für Julius Rudolf Falck (Bild 11). Nach der Internierungszeit meldete er sich bei der 88 Company im Auxiliary Military Pioneer Corps. Am 17. April 1943 heiratete er in London Pauline Davies und ab Mai des gleichen Jahres hieß er jetzt offiziell Rudolph Julian. Ab Januar 1943 hatte er den Rang Lieutenant mit der Regimentsnummer: 237410 (Bild 12). Nach einem kurzen Aufenthalt in Algerien wurde er im August 1943 zum 144th Company Pioneer Corps versetzt, das sich schon damals mit den Vorbereitungen zur Invasion in der Normandie (D-Day zum 6. Juni 1944) beschäftigte. Er bewarb sich bei der Provost Company, Parachut Regiment (Regiment der Fallschirmjäger) und war ab Januar 1944 bei der 1st Airborne Division/Army Air Corps (=Heeresflieger des Vereinigten Königreiches).
Am Sonntag, 17. September 1944, wurde er bei der Operation „Market Garden“ über Holland abgesetzt; und zwar in der Nähe von Arnheim (siehe: Die Schlacht um Arnheim zwischen dem 17. und 27. September 1944). Hier sollte sein englisches Fallschirmregiment eine Straßenbrücke einnehmen. Die leicht ausgerüsteten Fallschirmjäger trafen auf massiven deutschen Widerstand, besonders durch die 9. und 10. SS-Panzerdivision. Bei diesen Kämpfen in Oosterbeek bei Arnheim fiel Lieutenant Rudolph Julian Falck aus Köln in der Nacht vom 25. auf den 26. September 1944. Zwei englische Kriegsgefangene aus seinem Fallschirm-Regiment durften dann mit Erlaubnis der Deutschen den Leichnam beerdigen; wahrscheinlich irgendwo in einem nahegelegenen Obstgarten. Der genaue Ort seiner Beerdigung konnte trotz intensiver britischer und holländischer Suche niemals festgestellt werden. So erinnert an Lieutenant Falck lediglich eine Gedenkplatte auf dem „Canadian War Cemetery and Memorial“ in der Gemeinde Groesbeek bei Nijmegen (Bild 13, S. 36).
Lieutenant Falck starb drei Monate vor der Geburt seiner Tochter Christa. Christa Laird lebt heute in Oxford und ist eine bekannte Schriftstellerin. Für eines ihrer Bücher „Shadow of the Wall“ (deutscher Titel „Im Schatten der Mauer“) erhielt sie 1992 den Janusz-Korczak-Literaturpreis.
Paul Hollander (1908 – 2008)
Gekämpft und überlebt
Als ich nach langer Suche vom „The Royal Logistic Corps Museum“ in London den Namen eines Kölners bekam, der in der englischen Armee gedient hatte, konnte ich nicht ahnen, um was für einen interessanten und bewegten Lebenslauf es sich bei Paul Hollander handelt.
Geboren wurde Paul in Köln am 18. September 1908 und gestorben ist er im Alter von 100 Jahren und einem Tag am 19. September 2008 in London/England, wo er auch beerdigt ist. Aber bevor wir uns weiter mit Paul beschäftigen, noch einige Sätze zu seinen Vorfahren. Schon seine Großeltern Adelheid und Simon Hollander lebten in Köln und sind auf unserem jüdischen Friedhof in Köln-Ehrenfeld beerdigt (Bild 14). Zum Zeitpunkt ihrer Beerdigung (1907 resp. 1908) gab es unseren jetzigen Friedhof Köln-Bocklemünd noch nicht. Der Sohn von Adelheid und Simon, Gustav Hollander, wurde im Jahre 1876 in Köln Ehrenfeld geboren. Er heiratete Rosa Althof im Jahre 1905 und ihr Sohn war unser Held Paul Hollander. Zu Gustav Hollander finde ich in Greven’s Adreßbuch für Köln aus dem Jahre 1937 zwei Einträge. Er wohnte am Lindenthalgürtel 81 und zusammen mit seinem älteren Bruder Max (ermordet 1944 in Theresienstadt) hatten sie eine Firma zur Herstellung von Talgschmelze, Fettwaren in Köln Ehrenfeld, Liebigstraße 120B, direkt am Schlachthof.
Kehren wir nun zurück zu Paul. Er besuchte das Schiller Gymnasium und trieb viel Sport wie Judo, Rudern oder Athletik. Im Anschluss an die Schulzeit wollte er im Ausland arbeiten, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. So pendelte er zwischen London, Amsterdam, Paris und Köln. Aber nach der Machtübernahme durch die Nazis beschloss er, Deutschland für immer zu verlassen. Von seinen früheren Reisen besaß er noch ein Visum für Frankreich, wo er zuerst in einer Fabrik in Rouen arbeitete. Ganz zufällig wandte er sich dem Journalismus zu; vermied dabei aber politische Themen. Seine Sparte waren mehr Theater und Film, wobei er u.a. Filmgrößen wie Merle Oberon, Edward G. Robinson oder Jean Renoir interviewte. Er war sogar Mitglied der Vereinigung der französischen Auslandspresse. Seinen letzten Personalausweis für Ausländer (Bild 15), gültig vom 8.1.1939 – 8.1.1942, konnte er allerdings zeitlich nicht in voller Länge ausnutzen. Der bevorstehende Überfall von Nazi-Deutschland auf Frankreich und die französische Ausländerpolitik machten das unmöglich. Denn schon im September 1939 wurden alle in Frankreich lebenden Deutsche oder Österreicher interniert. Paul Hollander wurde wie tausend andere auch im Stadion „Stade de Colombes“ in Paris festgesetzt. Hierzu schrieb der im gleichen Stadion internierte deutsche Schriftsteller Hermann Kesten: „Frankreich beginnt also seinen Krieg gegen Hitler mit dem Krieg gegen die Feinde Hitlers“. Übrigens, in diesem Stadion fand noch ein Jahr zuvor am 19. Juni 1938 das Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft zwischen Italien und Ungarn mit 4:2 statt.
Nach der Internierung in Paris verbrachte Paul einige Monate in einem weiteren Internierungslager in der Nähe von Nevers, gelegen zwischen Bourges und Vichy. Die einzige Möglichkeit, der französischen Politik von Internierung und Kollaboration mit den Deutschen zu entkommen, war die freiwillige Rekrutierung in der Fremdenlegion. Ganz wenige jüdische Männer, darunter auch Paul Hollander, wählten diese Option zum Überleben. Aufgrund seiner sportlichen Natur nahm er diese Herausforderung an; hierzu ein Bild von ihm im typischen Legionärsmantel des Ausländer-Infanterie-Regiments (Bild 16). Als Soldat der französischen Fremdenlegion war er einige Jahre in Nordafrika stationiert; später sogar als Gefangener in einem Arbeitslager einer Kohlenmine. Ihm gelang die Flucht nach Algiers, der Hauptstadt von Algerien. Er schloss sich am 26. März 1943 den dortigen englischen Truppen an. Er diente im British Army Pioneer Corps und erreichte den Rang eines „Colour Sergeant“. Er nahm an der Schlacht um das Benediktiner-Kloster Monte Cassino/Italien (17. Januar – 18. Mai 1944) teil, bei der es auf beiden Seiten mehr als 75.000 Tote und Verwundete gab. Nach weiteren Stationen in Europa wurde er 1946 aus der britischen Armee entlassen, der er als Berater weiter zur Verfügung stand. Paul Hollander hatte großen Anteil am jüdischen Leben in Groß-Britannien. Er war der erste Leiter der Fundraising-Abteilung von „Jewish Child’s Day Charity“ (Organisation zur Unterstützung jüdischer Kinder). Darüber hinaus nahm er bis ins hohe Alter an der jährlichen November-Parade der AJEX (Association of Jewish Ex-servicemen and women) am Cenotaph in Whitehall/London teil. Dieser Cenotaph ist ein Kriegsdenkmal als Symbol für die Opfer und als Symbol für den Zusammenhalt der englischen Bevölkerung in den beiden Weltkriegen (Bild 17).
Paul Hollander starb am 19. September 2008 im Alter von 100 Jahren und wurde wie seine Eltern Rosa und Gustav, die 1939 von Deutschland nach England emigrieren konnten, im Golders Green Krematorium (Nord London) eingeäschert.
Und nun möchte ich noch einige weitere Namen von Helden der Synagogen-Gemeinde Köln im Kampf gegen die Nazis mit ihren damaligen Kölner Adressen anführen, soweit ich sie nachvollziehen konnte. Sie sind nach ihrer Armee-Zugehörigkeit unterteilt.
Amerikanische Armee
• Gerhard Buehler
– gest. mit 21 Jahren am 9. August 1944 Mauritiuswall 11
• Arthur Siegfried Ullendorf
– gest. mit 36 Jahren am 7. August 1944 Spichernstraße 48
• Hermann Buxbaum/Herman Buchsbaum Agrippastraße 60
• Moritz Buxbaum/Morris Buchsbaum Agrippastraße 60
• Bernhard Bernknopf/Bernkof Brüderstraße 17
• Heinrich Bernknopf/Bernkof Brüderstraße 17
• Richard Stern Marsilstein 20
• Fritz/Fred Richard Faller Weißenburgstr. 72
In Ausgaben der amerikanischen deutschsprachigen Zeitung „Aufbau“ aus den Jahren 1944/1945 werden weitere Kölner genannt, die aber von mir nicht überprüfbar waren: Eric Laub; Henry I. Mond; F. T. Mosback; Sidney Lee (Siegfried Levi).
Britische Armee und Jüdische Brigade
Die Jüdische Brigade (Jewish Brigade) war eine kämpfende Einheit innerhalb der britischen Armee während des Zweiten Weltkriegs, die auf Seiten der Alliierten gegen die Achsenmächte kämpfte.
• Ernst/Ernest Jacob Klettenberggürtel 50
• Jonathan Königshöfer/Yona Hatzor Dasselstraße 77
• Joseph Proter/Porat Lochnerstraße 11
• Heinrich Münzer/Nezer Utrechterstraße 6
(nach seiner Rückkehr nach Köln betrieb er von 1959 – 1982 das elegante Geschäft „Capri Schuhe“ am Hohenzollernring 46, danach wieder zurück nach Israel).
• Max Siegellack Thieboldsgasse 134
(geb. am 20. Oktober 1917 in Köln, 1939 Emigration nach Palästina, 1942 Eintritt in die englische Armee – Bild 18 (S. ), 1957 Rückkehr nach Köln, gest. am 15. Dezember 2002 und beerdigt auf unserem jüdischen Friedhof Köln Bocklemünd).
In Israel existiert einzigartig „The Museum of the Jewish Soldier in World War II“. Dort schätzt man, dass im 2. Weltkrieg an allen Kriegsfronten, in den Ghettos, bei den Widerstandskämpfern und Partisanenbrigaden in West- und Osteuropa und im Untergrund 1.500.000 jüdische Frauen und Männer kämpften. Davon sind 250.000 jüdische Kämpfer gefallen. Und hierzu zählen auch die oben beschriebenen Namen. Neben diesen bekannten Einzelfällen gab es sicherlich noch viele weitere Kölner Schicksale, von denen wir leider viel zu wenig oder gar nichts wissen.
Auch diesen mutigen jüdischen Frauen und Männern ist dieser Artikel gewidmet, denn sie sind für unsere Freiheit gefallen.
Mögen ihre Seelen und die aller anderen gefallenen Soldaten eingebettet sein im Bund des ewigen Lebens
החיים בצרור בצרורה נשמתם תהיה
של נשמותיהם עם
החיילים שאר
Köln, im April 2023
Benzion Wieber, Geschäftsführer i.R.
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